Dialogische Abgründe
ICH, von Andreas Maier
Auszug aus den Frankfurter Poetikvorlesungen:
"Der Glaube umkreist ja etwas, das man sprachlich nicht mitteilen kann, genauso wenig wie den Impuls, mein linkes Bein zu bewegen, den kann ich auch nicht mitteilen. Für die Bewegung des linken Beins haben wir die Worte Bewegung des linken Beins, aber hineinschauen kann man in diese Worte auch nicht. Für Gott haben wir das Wort Gott. Kann man ebenfalls nicht hineinschauen. Gott ist die Wahrheit, aber das ist fast schon ein Pleonasmus. Gott ist in jedem, aber nicht jeder folgt ihm, eher wenige. Ich meine nicht, in die Kirsche, da gehen ja immer noch viele hin, sondern in die Wahrheit, da gehen vermutlich eher wenige hin. …. Die Christen haben das, was sowieso jedem Menschen die Wahrheit ist und immer sein wird, in das Wort Gott übersetzt, das muss zwar auch nicht stimmen, aber mit diesem Wort Gottes ist es ihnen wenigstens gelungen, das, woran alle glauben, besser gesagt, was alle wissen, was alle in ihrem Gewissen haben, wenigstens dem Diskurs der Menschen zu entheben, oder zumindest es als nicht so leicht verfügbar erscheinen zu lassen. Indem sie Gott munifiziert und verschanzt haben gegen unsere Logik und unseren rhetorischen Zugriff, haben sie einen Teil in uns, den wahren, verschanzt und munifiziert gegen uns selbst, das immerhin. Es gibt in uns etwas Unantastbares, das wir dauernd anzutasten versuchen und tatsächlich auch antasten, und das, kurz gesagt, macht uns zu falschen Wesen, weil zu selbstwidersprüchlichen, zu solchen, die immer gegen sich handeln, d.h. gegen ihr Gewissen und ihre Wahrheit. Diese Wahrheit in einem quasi selbstreferentiellen System aufzuheben und dadurch gegen Einspruch zu schützen und wie ein Flaschenpost durch die Jahrtausende zu schicken, das ist das Evangelium des Matthäus, eine unglaubliche literarische Leistung…. Wir sind alle fixiert in einem System, einem zivilisatorischen, in dem jeder in jedem Moment kraft seiner bloßen Anwesenheit schuldig wird vor Gott und den Menschen. Und die Umkehr heißt einfach nur sein lassen, und sie wird nie geschehen, …. man steht nämlich als Ich vor Gott, nicht als Gruppe. Gruppen gibt es nicht, d.h. in einer Gruppe gibt es einen selbst nicht, die Gruppe ist der Tod des Menschen, des Ich. Das Evangelium nach Matthäus verkündet keine Utopie. Der Glaube an Gott verkündet keine Utopie. Unser Heil liegt nicht und nie in der Gesellschaft, unsere Eschatologie liegt nie in einem gesellschaftlichen Entwurf begründet, genauso wenig wie einer Lebensversicherung, das wäre ja pervers. Die Gesellschaft muss nicht geheilt sein, damit ich selbst geheilt bin, oder Sie. Das erste wird nie geschehen, dafür gibt es kein Instrument, es gäbe dafür nur eines: Alle müssten sich gleichermaßen, in einem Augenblick, sein lassen. Dann wäre alles gut, gesellschaftlich, ökologisch etcetera. Wird nicht passieren und ist auch egal, da das Heil sich nur für einen selbst einstellt, und manchmal gerade eher unter schlimmeren Bedingungen als unter besseren, denn das Heil ist nicht zu Verwechseln mit dem Glück. Es ist so einfach und so klar, und jeder von uns hat es schon erfahren, aber viele gehen diesen Weg nicht, doch mein Heil betrifft es nicht, ob andere ihn gehen, mich betrifft nur, ob ich diesen Weg gehe, und wenn ich geheilt bin und mich habe sein lassen, habe ich auch die Welt sein lassen, und dann ist da eine Art Heil in allem, selbst wenn die Welt sich in diesem Augenblick völlig zugrunde richtet. Das ist nicht stoisch gedacht, also dass der Weise auch noch auf der Folter glücklich wäre. Das eigene Heil erreicht man ja auch nur dann, vielleicht, wenn man es gar nicht anstrebt, denn es kommt sowieso nicht durch mich, sondern durch Gott, also durch die Wahrheit, insofern sie in mir ist."
... und dann über Dostojewskij und sein Vorbilder:
"Ich kann doch, wenn ich aufrichtig bin, nur zu begründen versuchen, warum alles immer in mir in einer Verwirrung stattfindet und warum ich verwirrtes Reden von Anfang an als die Warheit der Menschen gesehen habe, auch und vor allem meine. Ich war ja auch nie ein Autor des Monologs, sondern der chaotischen, schlimmen Dialoge. Die Verwirrung als das eigentliche Thema, die Verwirrung unter den Menschen, also dass Wahrheit hier unter uns nicht möglich ist, sondern nur für den einzelnen. Konkreter gesagt: dass ich die Wahrheit über mich erreich kann, dass es aber an der Wahrheit und an Gott vorbeigeht, wenn ich in der Menschenwelt im Austausch mit anderen und im diskursiven Ausgleich Wahrheit möglich machen will. Wahrheit unter den Menschen, kollektiv gedacht, ist Mord und Diktatur."
Auszug aus den Frankfurter Poetikvorlesungen:
"Der Glaube umkreist ja etwas, das man sprachlich nicht mitteilen kann, genauso wenig wie den Impuls, mein linkes Bein zu bewegen, den kann ich auch nicht mitteilen. Für die Bewegung des linken Beins haben wir die Worte Bewegung des linken Beins, aber hineinschauen kann man in diese Worte auch nicht. Für Gott haben wir das Wort Gott. Kann man ebenfalls nicht hineinschauen. Gott ist die Wahrheit, aber das ist fast schon ein Pleonasmus. Gott ist in jedem, aber nicht jeder folgt ihm, eher wenige. Ich meine nicht, in die Kirsche, da gehen ja immer noch viele hin, sondern in die Wahrheit, da gehen vermutlich eher wenige hin. …. Die Christen haben das, was sowieso jedem Menschen die Wahrheit ist und immer sein wird, in das Wort Gott übersetzt, das muss zwar auch nicht stimmen, aber mit diesem Wort Gottes ist es ihnen wenigstens gelungen, das, woran alle glauben, besser gesagt, was alle wissen, was alle in ihrem Gewissen haben, wenigstens dem Diskurs der Menschen zu entheben, oder zumindest es als nicht so leicht verfügbar erscheinen zu lassen. Indem sie Gott munifiziert und verschanzt haben gegen unsere Logik und unseren rhetorischen Zugriff, haben sie einen Teil in uns, den wahren, verschanzt und munifiziert gegen uns selbst, das immerhin. Es gibt in uns etwas Unantastbares, das wir dauernd anzutasten versuchen und tatsächlich auch antasten, und das, kurz gesagt, macht uns zu falschen Wesen, weil zu selbstwidersprüchlichen, zu solchen, die immer gegen sich handeln, d.h. gegen ihr Gewissen und ihre Wahrheit. Diese Wahrheit in einem quasi selbstreferentiellen System aufzuheben und dadurch gegen Einspruch zu schützen und wie ein Flaschenpost durch die Jahrtausende zu schicken, das ist das Evangelium des Matthäus, eine unglaubliche literarische Leistung…. Wir sind alle fixiert in einem System, einem zivilisatorischen, in dem jeder in jedem Moment kraft seiner bloßen Anwesenheit schuldig wird vor Gott und den Menschen. Und die Umkehr heißt einfach nur sein lassen, und sie wird nie geschehen, …. man steht nämlich als Ich vor Gott, nicht als Gruppe. Gruppen gibt es nicht, d.h. in einer Gruppe gibt es einen selbst nicht, die Gruppe ist der Tod des Menschen, des Ich. Das Evangelium nach Matthäus verkündet keine Utopie. Der Glaube an Gott verkündet keine Utopie. Unser Heil liegt nicht und nie in der Gesellschaft, unsere Eschatologie liegt nie in einem gesellschaftlichen Entwurf begründet, genauso wenig wie einer Lebensversicherung, das wäre ja pervers. Die Gesellschaft muss nicht geheilt sein, damit ich selbst geheilt bin, oder Sie. Das erste wird nie geschehen, dafür gibt es kein Instrument, es gäbe dafür nur eines: Alle müssten sich gleichermaßen, in einem Augenblick, sein lassen. Dann wäre alles gut, gesellschaftlich, ökologisch etcetera. Wird nicht passieren und ist auch egal, da das Heil sich nur für einen selbst einstellt, und manchmal gerade eher unter schlimmeren Bedingungen als unter besseren, denn das Heil ist nicht zu Verwechseln mit dem Glück. Es ist so einfach und so klar, und jeder von uns hat es schon erfahren, aber viele gehen diesen Weg nicht, doch mein Heil betrifft es nicht, ob andere ihn gehen, mich betrifft nur, ob ich diesen Weg gehe, und wenn ich geheilt bin und mich habe sein lassen, habe ich auch die Welt sein lassen, und dann ist da eine Art Heil in allem, selbst wenn die Welt sich in diesem Augenblick völlig zugrunde richtet. Das ist nicht stoisch gedacht, also dass der Weise auch noch auf der Folter glücklich wäre. Das eigene Heil erreicht man ja auch nur dann, vielleicht, wenn man es gar nicht anstrebt, denn es kommt sowieso nicht durch mich, sondern durch Gott, also durch die Wahrheit, insofern sie in mir ist."
... und dann über Dostojewskij und sein Vorbilder:
"Ich kann doch, wenn ich aufrichtig bin, nur zu begründen versuchen, warum alles immer in mir in einer Verwirrung stattfindet und warum ich verwirrtes Reden von Anfang an als die Warheit der Menschen gesehen habe, auch und vor allem meine. Ich war ja auch nie ein Autor des Monologs, sondern der chaotischen, schlimmen Dialoge. Die Verwirrung als das eigentliche Thema, die Verwirrung unter den Menschen, also dass Wahrheit hier unter uns nicht möglich ist, sondern nur für den einzelnen. Konkreter gesagt: dass ich die Wahrheit über mich erreich kann, dass es aber an der Wahrheit und an Gott vorbeigeht, wenn ich in der Menschenwelt im Austausch mit anderen und im diskursiven Ausgleich Wahrheit möglich machen will. Wahrheit unter den Menschen, kollektiv gedacht, ist Mord und Diktatur."
coyote05 - 18. Jun, 10:21
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